Auswahl von IT-Anbietern, -Tools und -Angeboten: Partner First, Tool Second

„Photo by Unsplash

Autor

Henning Baars
Universität Stuttgart Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik 1

Beratungen im Analytics-Umfeld empfehlen üblicherweise, bei der Entwicklung einer Analytics-Lösung eine systematische, kriteriengeleitete IT-Tool-Auswahl vorzunehmen, die von einer breiten Longlist aus Produkten über eine Shortlist bis zu einem Proof-of-Concept führt. Das IT-Tool steht dabei am Anfang und im Mittelpunkt des Prozesses. Diese Empfehlungen richten sich allerdings an Unternehmen von zumindest mittlerer Größe, die eine eigene IT-Abteilung und idealerweise sogar ein Analytics-Team mitbringen. Unsere Erfahrungen im Projekt legen es nahe, dass diese Voraussetzung gerade in dem betrachteten Umfeld – kleinere Mittelständler mit Potentialen bei der Analyse digitaler Abbilder physischer Objekte – üblicherweise nicht gegeben ist. Trotz oftmals hohem High-Tech-Anteil der produzierten oder verarbeiteten Güter sind umfangreiche IT-Ressourcen und weitergehende IT-Kompetenzen eher die Ausnahme.
Für eine Datengenossenschaft rückt damit die Auswahl eines geeigneten IT-Anbieters in den Vordergrund. Dieser muss als kompetenter Partner die Anforderungen der Genossen aufgreifen und mit geeigneten Tools umsetzen können – er übernimmt in der Genossenschaft letztlich die Rolle einer IT-Abteilung. Die Toolauswahl ist damit verzahnt, da der Anbieter schließlich eine anforderungskonforme, skalierbare und performante Lösung bereitstellen muss. Idealweise befindet der IT-Anbieter auf Augenhöhe, d.h. ist selbst mittelständisch und mit der Kultur und der Branche der Genossenschaft vertraut.
Zusätzlich zu Anbieter und Tool ist zu berücksichtigen, dass ein Anbieter alternative Angebote mit unterschiedlichem Leistungsumfang anbieten kann. In der Auswahl hierfür ist neben einem kurzfristigen auch ein langfristiger Zeithorizont zu berücksichtigen. Gerade bei Genossenschaften ohne Analytics-Vorerfahrung stehen zunächst der Aufbau einer belastbaren Datenbasis, deren Management sowie einfache, deskriptive Analysen mit Reports und Dashboards im Mittelpunkt. Mit wachsender Erfahrung und einem schrittweisen Ausbau der Datenbasis werden den Anwendern üblicherweise die Potentiale explorativer und im nächsten Schritt auch anspruchsvollerer KI/Machine Learning-Analysen stärker bewusst. Diese Perspektive sollte in die Anbieter- und Angebotsauswahl einfließen.

Die Rolle des IT-Partners

Unsere Studien legen nahe, den IT-Anbieter nicht selbst zum Genossen einer Datengenossenschaft zu machen. Gerade bei einem wenig IT-affinen Konsortium bündelt der IT-Anbieter Macht, was zu einer Unwucht in der Genossenschaft führen kann: Zum einen konzentriert der IT-Partner als zentraler Lösungsentwickler und ­­-betreiber Kompetenzen, Daten und Wissen und kann so in eine dominante Position gelangen. Zum anderen ist seine Rolle grundlegend verschieden von der aller anderen Partner – und damit unterscheiden sich auch seine Ziele. Unter diesen Voraussetzungen entsteht ein hohes Risiko von Zielkonflikten (beispielsweise durch Nutzung des erworbenen Know Hows bei der Akquise und Betreuung konkurrierender Unternehmen). Mit einem von der Genossenschaft vertraglich beauftragtem IT-Dienstleister lässt sich diese Position einfacher beherrschen.

Typen von IT-Partnern und IT-Tools

Im Rahmen unserer Gespräche mit IT-Dienstleistern sowie bei der Suche nach konkreten Partnern für unsere Datengenossenschaften haben wir unterschiedliche Typen von IT-Partnern und IT-Tools identifiziert, die potenziell für eine Datengenossenschaft in Frage kommen. Der Unterschied besteht dabei primär in der fachlichen Herkunft und infolge der inhaltlichen Schwerpunktsetzung, der Kompetenzen und dem Funktionsumfang der vom Partner mitgebrachten Tools. Es ist zu beachten, dass jeder Fall eine individuelle Ausrichtung erfordert und mehrere Anbieter auch durchaus gemeinsam agieren können. Des Weiteren sehen wir die großen IT-Cloudanbieter/Hyperscaler typischerweise eher als mittelbar über einen kleineren IT-Anbieter angebunden, d.h. der IT-Anbieter nutzt die Dienste des Cloudanbieters für den Aufbau der DG-spezifischen Umgebung.

  1. IT-Anbieter mit Schwerpunkt Automatisierungstechnik, Produktion und Logistik

IT-Unternehmen mit einer Spezialisierung auf industrielle Anwendungen und Automatisierung bringen wichtige Kompetenzen bei der Anbindung von Maschinen, zu den relevanten Standards und Normen sowie oftmals umfangreiche Kenntnisse der technischen, organisatorischen, kulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen des industriellen Mittelstands mit. Die hierbei inhärente ingenieursorientierte Ausrichtung spiegelt sich oftmals auch im beruflichen Hintergrund der Mitarbeiter sowie den von ihnen umgesetzten Konzepten und Herangehensweisen wider – was ein Vorteil für die Zusammenarbeit ist, wenn die Genossen der DG einen ähnlichen Hintergrund haben. Teilweise verfügen derartige Unternehmen über individuelle, spezialisierte Toolsets für die Digitalisierung und die Prozessunterstützung mit eigenen Datenmodellen und Datenhaltungsansätzen. Diese unbestreitbaren Stärken können in einer analyseorientierten Datengenossenschaft schnell zu Herausforderungen werden, wenn die Architekturen und Modelle nicht mit aktuellen, insbes. cloudbasierten Datenhaltungs- und -analysearchitekturen kompatibel sind. V.a. die Überführung in typische analytische Datenmodelle ist dann schnell mit erheblichem Aufwand verbunden, da Themen wie Historisierung (inkl. Slowly Changing Dimensions), die Schaffung eines Single Point of Truth sowie eine Ausrichtung auf integrierte, zeit- und organisationsübergreifende Analysezusammenhänge nicht vorgesehen sind. Diese Art Anbieter bietet sich dann an, wenn parallel zum Aufbau eines Datenraums auch eine Digitalisierungsinitiative mit tiefer fachlicher Einbindung in die Prozesse der Genossen erforderlich wird.

  1. IT-Anbieter mit einem Schwerpunkt auf dem Internet der Dinge/dem Internet of Things (IoT)

Breiter und generischer ausgerichtet als die erste Gruppe sind IoT-orientierte Anbieter und deren Lösungen. Hier stehen die Anbindung typischer IoT-Datenquellen (Smarte Sensoren und Aktoren/Smarte Maschinen/RFID etc.) mit anspruchsvollen Anforderungen an die vorzuhaltenden Datenvolumina, die Geschwindigkeit des Datenanfalls sowie den Umgang mit komplex strukturierten Daten im Mittelpunkt. Gerade für cloudbasierte Dashboards mit Real Time-Integration komplexer, verteilter Sensorik sind derartige Anbieter prädestiniert, selbst wenn diese nicht immer den tiefen fachlichen Hintergrund der ersten Gruppe mitbringen. An Grenzen stoßen solche Anbieter unserer Erfahrung nach, sobald auch hier weitergehende Anforderungen an eine analyseorientierte Datenhaltung sowie tiefergehende Analysen gestellt werden.

  1. IT-Anbieter mit Schwerpunkt Business Intelligence und Analytics (BIA)

„Klassische“ BIA-Anbieter haben ihre Wurzeln in einem unternehmensweiten Reporting sowie im Aufbau einer integrierten analyseorientierten Datenhaltung (Data Warehouse/Data Lake). Derartige Anbieter sind v.a. für den initialen Aufbau einer Datenplattform interessant. Andererseits sind bei den entsprechenden, hier favorisierten Lösungen anspruchsvollere AI- und Machine Learning-Lösungen oftmals eher ergänzt als integrativ vorgesehen. Schwerer wiegen eine möglicherweise fehlende Erfahrung mit der Anbindung technischer Systeme sowie einem mangelnden tieferen Verständnis für die Zielgruppe, speziell im Umfeld kleinerer Mittelständler.

  1. IT-Anbieter mit Schwerpunkt Artificial Intelligence und Machine Learning

Der Vorteil spezialisierter AI/ML-Anbieter ist, dass diese Kompetenzen mitbringen, die insbes. für weitergehende Ausbaustufen einer Datengenossenschaft relevant sind – methodisch, mathematisch-statistisch, werkzeug-, entwicklungs- und betriebsbezogen. Oftmals sind diese Anbieter gleichzeitig mit den Grundlagen allgemeiner BIA-Lösungen vertraut. Selbst wenn dies nicht die Kernkompetenz ist, sollten entsprechende Anbieter bei einer perspektivisch stärkeren Ausrichtung auf KI/ML-Lösungen berücksichtigt werden.

  1. Allgemeine IT-Anbieter mit Mittelstandsbezug ohne spezifische Schwerpunktsetzung

Auch nicht primär auf Automatisierungstechnik, IoT, BIA und/oder AI/ML spezialisierte Partner können in interessante IT-Partner werden, speziell wenn sie mit den Grundlagen cloud- und datenorientierter Lösungen vertraut sind, ein insgesamt breites und aktuelles IT-Know How vorweisen können und sich durch eine starke Mittelstandsorientierung auszeichnen. Hier können geringe Reibungsverluste bei der Kooperation mit der Genossenschaft etwaige Spezialisierungsdefizite potenziell ausgleichen. Dennoch sollte geprüft werden, inwiefern diese Anbieter der vorliegenden Aufgabe gewachsen sind. Insbes. sollte deshalb auf Erfahrungen beim Aufbau von Cloudlösungen mit starkem Datenanteil sowie Vertrautheit mit typischen Datenhaltungs- und ‑analysesystemen geachtet werden.

Kriterien für die integrierte Auswahl von IT-Partnern, -Tools und -Angeboten

Basierend auf diesen Vorüberlegungen wurde im Laufe des Projektes ein Katalog von Kriterien für die integrierte Auswahl von IT-Partnern, ‑Tools und Angeboten entwickelt. Dieser Katalog ist bereits sehr umfangreich, kann aber durchaus auch erweitert werden.

So wird bei den toolbezogenen Kriterien neben übergreifenden Kriterien das potenziell relevante Funktionsangebot sowohl auf der Datenhaltungs- und der Analyseseite berücksichtigt. Bei den anbieterbezogenen Kriterien stehen v.a. die Kompatibilität mit dem Konsortium sowie Angebote zu Schulung, Betreuung und Beratung im Mittelpunkt – Fragen, die v.a. bei Mittelstandskonsortien ohne eigene IT-Abteilung kritisch werden. Die angebotsorientierten Kriterien berücksichtigen neben allgemeinen Informationen zum Preis- und Servicemodell sowohl Fragen der Entwicklung und Bereitstellung der Lösung wie auch solche zu deren Betrieb. Hierbei wird jeweils differenziert nach Datenanbindung und -bereitstellung, Datenanalyse und Frontend/Dashboard.

Vor der eigentlichen Anbietersichtung sollte dieser umfangreiche Katalog auf die für die vorgesehenen Wertschöpfungsszenarien relevanten Kriterien reduziert werden. Hierbei kann ggf. auch nach einer kurzfristigen und einer langfristigen Perspektive differenziert werden, beispielsweise wenn weitergehende KI/ML-Funktionalität erst für eine spätere Ausbaustufe der Datengenossenschaft vorgesehen ist.

Die selektierten Kriterien können im nächsten Schritt zum Screening einer größeren Longlist an Anbietern genutzt werden, beispielsweise durch ein punktebasiertes erstes Scoring, wobei die Kriterien gewichtet werden sollten (etwaige KO-Kriterien sollten separat und vorweg geprüft werden). Die resultierenden Punktwerte erleichtern eine erste Vorselektion, die Ergebnisse sollten aber auch qualitativ plausibilisiert werden. Gerade in Grenzfällen empfiehlt sich eine kritische Analyse der Resultate.

Auf dieser Basis kann dann auch ein erstes Lastenheft vorbereitet werden, das im Rahmen von Vorgesprächen genutzt wird. Spätere Schritte würden gemeinsame Workshops, Demonstrationen der Werkzeuge, Prototypen und Proof of Concepts vorsehen, um schrittweise einen oder mehrere geeignete Partner zu identifizieren.

Werkzeug

Für die entsprechenden Selektionsprozesse wurde im Projekt ein Spreadsheet-basiertes Werkzeug entwickelt, mit dem zum einen die Kriterienselektion vorgenommen werden kann und zum anderen das Scoring/Screening. Hierfür bietet das Werkzeug zwei Vorlagen, die jeweils individuell angepasst werden können. Das Werkzeug findet sich in GitHub unter der Adresse

https://github.com/Projekt-Datengenossenschaften/Werkzeugkasten/blob/main/05_AuswahlVonAnbieternToolsUndAngeboten_VorgehenUndTool/02_DG_Werkzeugkasten_TOOL_Angebotsauswahl_KriterienselektionUndAngebotsbewertung.xlsx